Kurzdarmsyndrom: Wie können Stammzellen helfen?
Erwachsene und Kinder mit Kurzdarmsyndrom (engl. short bowel syndrome, SBS) können nicht genug Wasser und Nährstoffe aufnehmen. Die betroffenen Personen haben oft nicht funktionale oder atypisch kurze Dünndärme. SBS kann sehr schwerwiegend sein und erfordert manchmal die Zufuhr von Nährstoffen und Wasser direkt in den Blutkreislauf, um Mangelernährung und Dehydrierung zu vermeiden. Viele medizinische Fortschritte haben das Überleben von Personen mit SBS verbessert, allerdings ist es immer noch eine Erkrankung, die sowohl schwierig als auch teuer zu behandeln ist.
Die meisten Nährstoffe und mehr als 80% des Wassers in den Nahrungsmitteln und Getränken werden von unserem Dünndarm aufgenommen, so dass ein zu kurzer oder nicht funktionierender Darm zu ernster Unterernährung und Dehydrierung führen kann.
Die meisten Fälle von SBS bei Säuglingen und Erwachsenen werden durch die chirurgische Entfernung großer Teile des Dünndarms verursacht. Der chirurgische Eingriff wird nötig, wenn Teile des Dünndarms ernsthaft geschädigt sind, eine Fehlfunktion aufweisen oder abgestorben sind.
Gegenwärtige Behandlungen beginnen oft mit der direkten Zufuhr von Nährstoffen in den Blutkreislauf (parenterale Ernährung), können aber auch die Einnahme von Hormonen und Medikamenten oder eine chirurgische Transplantation des Dünndarms umfassen.
Neue Medikamente, Hormone und andere Behandlungen regen die Darmzellen dazu an, verloren gegangene Regionen zu kompensieren, indem sie die verbleibenden Zellen und das Gewebe stimulieren, die Aufnahme von Wasser und Nährstoffen zu erhöhen, oder Darmzellen zum Wachstum und zur Vermehrung anregen.
Stammzellen könnten geschädigte und erkrankte Därme reparieren und so auch den chirurgischen Eingriff verhindern, der zu SBS führt.
In Zukunft könnte die Transplantation von neuem Darmgewebe möglich sein, welches unter Verwendung von adulten Stammzellen aus dem Darm oder pluripotenten Stammzellen in Laboratorien gezüchtet wurde.
Forscher haben herausgefunden, dass die Verwendung von Gerüsten aus Biomaterialien, auf denen Zellen angesiedelt werden, den Stammzellen hilft, in die richtige Form zu wachsen.
SBS resultiert oft aus Operationen, die aufgrund eine Vielzahl von komplexen medizinischen Problemen nötig sind. Diese Probleme können allerdings auch weiterhin nach der Behandlung des SBS auftreten.
Die meisten Fälle von SBS sind einzigartig, so dass die Behandlungen oft auf jeden Fall zugeschnitten werden müssen.
Säuglinge sind in einem kritischen Lebensstadium und daher sehr empfindlich. Einige SBS-Behandlungen, die für Kinder und Erwachsene funktionieren, können nicht bei Säuglingen angewendet werden.
Transplantationen des Darms sind möglich, aber es werden ständig alternative Behandlungsmethoden gesucht, da bei den Transplantationen oft Schwierigkeiten auftreten, wie z.B. eine begrenzte Anzahl von Spendern, eine mögliche Organabstoßung und ein hohes Infektionspotential (der Darm enthält viele verschiedene Bakterien).
Das Kurzdarmsyndrom (SBS) ist eine Gruppe von Erkrankungen, die durch das Versagen des Dünndarms verursacht werden. Der Dünndarm absorbiert beim SBS nicht genug Wasser, Nährstoffe und Mineralien, um die normale Gesundheit und das Wachstum des Patienten zu gewährleisten. Das SBS ist oft darauf zurückzuführen, dass der Dünndarm des Patienten um die Hälfte (oder mehr) kürzer ist, als ein normaler Dünndarms. Das SBS kann durch körperliche Untersuchungen, Bluttests, Röntgenuntersuchungen und Fetttests des Stuhl diagnostiziert werden. Der Stuhlfetttest zeigt an, ob der Körper in der Lage ist, Fette zu verdauen und aufzunehmen.
Der Dünndarm leistet die Absorption der meisten Nährstoffe und des Wassers, das wir konsumieren. Es gibt allerdings eine Reihe von Vorgängen im Darm, welche die meisten Menschen nicht wahrnehmen. Unserer Verdauungstrakt ist Teil einer symbiotischen Beziehung und schafft eine ideale Wachstumskammer, in der Bakterien leben können. Bakterien bekommen Nahrung zum Wachsen, eine geschützte Umgebung und eine ideale Temperatur für das Wachstum. Im Gegenzug helfen diese Bakterien dabei, Nahrungsmittel in Moleküle zu zerlegen, die unser Darm absorbieren kann oder welche die Darmschleimhaut gesund halten.
Der Dünndarm hat auch viele komplexe Mechanismen, die es ihm ermöglichen, Nahrung und Abfall weiterzutransportieren und Nährstoffe auszunehmen; er verfügt über ein Nervensystem, Muskeln, ein komplexes Gefäßnetzwerk (Blutgefäße), viele Arten von spezialisierten Zellen und, vielleicht am wichtigsten, Stammzellen. Diese "Gewebestammzellen" sind entscheidend für die Instanthaltung und Reparatur des Darms und bilden ständig neue Zellen. Dies ist besonders wichtig für die innere Auskleidung des Dünndarms (Epithel), die viele Spalten und Erweiterungen hat, genannt Krypten und Zotten. Die Zotten erstrecken sich in das Zentrum des Darms und erhöhen die Geschwindigkeit und Fähigkeit der Nährstoffaufnahme erheblich. Die Zellen, die die Zotten bilden, sind jedoch sehr harten Bedingungen ausgesetzt, so dass sie nicht sehr lange leben und ständig ausgetauscht werden müssen.
Stammzellen, die in den Krypten (Spalten) verbleiben, müssen ALLE Zotten im Dünndarm alle 3 bis 5 Tage ersetzen! Diese und andere Stammzellen helfen auch kleinere bis mittlere Schäden im Darm zu reparieren. Wenn jedoch größere Schäden auftreten, sind Stammzellen möglicherweise nicht in der Lage, alles zu reparieren. Dies kann zum Versagen des Darm führen, welches ein sehr ernstes Gesundheitsrisiko darstellt und lebensbedrohlich sein kann. Um Leben zu retten, müssten Ärzte manchmal Bereiche des geschädigten oder toten Darms bei Patienten entfernen. Wenn diese Abschnitte groß sind, kann es ein Kurzdarmsyndrom zur Folge haben.
Die Stammzellen identifizieren
Stammzellen sind einzigartig in ihrer Fähigkeit, sich selbst zu erneuern und Zellen zu generieren, die sich spezialisieren können. Stammzellen sehen jedoch nicht immer sehr einzigartig aus; unter einem Mikroskop können sie in ihrer Größe und Form anderen Zellen in ihrer Umgebung gleichen. Woher wissen also die Forscher, welche Zellen welche Identität haben?
Die Forscher erforschen dieses Rätsel, indem sie Gene identifizieren, die in Stammzellen, aber nicht in anderen Zellen spezifisch aktiviert sind. Diese Gene kodieren für Proteine, die benötigt werden, damit sich die Zellen wie spezifische Stammzellen verhalten, an denen der Forscher interessiert ist. Da diese Proteine für die Zellen einzigartig sind, nennen Forscher sie "molekulare Marker". Einige Forscher, wie Kim Jensen an der Universität von Kopenhagen, widmen sich mit ihren Laboren der Erforschung und Suche nach molekularen Markern von Zellen und Stammzellen. Ein wichtiger Fortschritt für den Dünndarm war die Identifizierung des Proteins "Lgr5" durch die Forschungsgruppe von Hans Clevers am Utrechter Hubrecht-Institut als einzigartigen molekularen Marker für die Untergruppe der Stammzellen, die für die Herstellung des Darmepithels (die innerste Zelllage) verantwortlich sind.
SBS wird oft im Zusammenhang mit Fällen in Säuglingen und in Erwachsenen betrachtet. Die Mehrzahl der SBS-Fälle bei Erwachsenen und Säuglingen tritt auf, nachdem beschädigte Abschnitte des Dünndarms operativ entfernt werden mussten.
Bei Erwachsenen kann SBS auch auftreten, wenn eine andere medizinische Komplikation die Entfernung der Hälfte oder mehr des Dünndarms erforderlich machte. Medizinische Befunde, die die Entfernung von Teilen des Darms erfordern können, umfassen Erkrankungen wie Darmkrebs, Blutgerinnsel im Darm, den Tod von Nervenzellen, die den Darm kontrollieren, physische Schäden (schwere Bauchverletzungen) oder schwere Fälle von Morbus Crohn.
Bei Säuglingen können Probleme in der Entwicklung dazu führen, dass Teile des Dünndarms stark geschädigt werden oder absterben. Ein besonderes Beispiel hierfür ist die nekrotisierende Enterocolitis, bei der die Darmmuskeln und Nerven eines Säuglings absterben, wodurch der Darm funktionsunfähig wird. Die chirurgische Entfernung dieser Regionen kann den Dünndarm stark verkürzen und zu SBS führen. Einigen Säuglinge, die an SBS leiden, fehlen schon von Geburt an große Teile des Dünndarms, allerdings ist dies sehr selten.
Die generelle Behandlung bei SBS (sowohl für Säuglinge und Erwachsene) beginnt mit der direkten Zufuhr von Nährstoffen und Wasser in den Blutkreislauf (parenterale Ernährung). Dies gibt dem Darm Zeit, sich von verschiedenen chirurgischen Behandlungen zu erholen und sich dann an die Verkürzung anzupassen. Selbst wenn der Darm es schafft, sich anzupassen und die parenterale Ernährung gestoppt wird, sind spezielle Diäten und Nahrungsergänzungsmittel für einzelne Patienten oft dauerhaft erforderlich.
Behandlungen können die Verwendung von Medikamenten (beispielsweise gegen Durchfall) beinhalten, um den Verdauungsprozess zu verlangsamen und mehr Zeit für die Nährstoffabsorption zu erlauben. Hormone werden auch häufig verschrieben, um das Wachstum und die Anpassung von Darmzellen zu fördern. In schweren Fällen werden Transplantationen von Dünndarmgewebe durchgeführt. Transplantationen sind eine Herausforderung, da der Darm normalerweise Bakterien enthält, die zu Infektionen führen können. Auch sind die Spender für Darmgewebe begrenzt. Es ist wichtig zu verstehen, dass es verschiedene Abschnitte des Dünndarms gibt, von denen jeder unterschiedliche Bedeutung hat. Transplantationen werden meist nur durchgeführt, wenn kritische Abschnitte des Dünndarms entfernt wurden und ersetzt werden müssen.
Im Labor werden alle Aspekte und Methoden zur Behandlung von SBS untersucht, von Arzneimitteln über chirurgische Methoden und Stammzellen bis hin zur Herstellung von synthetischen Därmen. Viele Forscher, wie Dr. Simon Eaton, der am University College London (UCL) die Biochemie und den Stoffwechsel des Darms studiert, konzentrieren sich darauf, zu verstehen, wie sich Zellen im Darm aufgrund von Krankheiten und chirurgischen Behandlungen verändern. Dies ist der erste wichtige Schritt bei Erkrankungen wie SBS hin zur Behandlung der Krankheiten und deren Komplikationen. Die Forschung zielt auch darauf ab, SBS zu verhindern, indem Behandlungen (einschließlich Stammzellbehandlungen) für Darmerkrankungen entwickelt werden, bevor Darmabschnitte entfernt werden müssen.
Kliniker untersuchen auch, welche chirurgischen Strategien verwendet werden können, um die Auswirkungen der Entfernung von Dünndarmabschnitten zu minimieren. Chirurgische Methoden zur Behandlung von SBS werden erforscht, wie das Einführen von Klappen in den Dünndarm, um den Durchgang von Nahrung zu verlangsamen. Methoden zur Behandlung von SBS umfassen die Erforschung von Medikamenten und Hormonen wie Teduglutid, welche die Darmzellen anregen, mehr Wasser und Nährstoffe zu absorbieren.
Einige Forschungsgruppen konzentrieren sich auf das Bioengineering des Dünndarms, d.h. den Prozess des künstlichen Aufbaus oder Wachstums von Dünndarmabschnitten für die Transplantation. Ein Beispiel für einen Verbund von Forschungsteams, die an künstlichen Dünndarmsegmenten arbeiten, ist das Forschungsprogramm INTENS (engl. für Intestinal Tissue ENgineering Solution) (mehr dazu weiter unten). Moderne Technologien wie diese sind jedoch viele Jahre von der klinischen Anwendung entfernt. Es braucht Jahre, um aus der Grundlagenforschung medizinische Behandlungen zu entwickeln, klinische Studien zu bestehen und als sicher und effektiv für den Einsatz in Kliniken anerkannt zu werden.
Wenn Sie die neuesten Ergebnisse über SBS-Behandlungen erfahren möchten, können Sie sich zu klinischen Studien bei clinicaltrials.gov informieren.
Bei vielen der Forschungsansätze rund um die Behandlung von SBS spielen Stammzellen eine zentrale Rolle. Stammzellen bieten die Möglichkeiten, Teile des Dünndarms zu reparieren, zu heilen und wieder wachsen zu lassen. Allerdings erfordert es jahrelange Forschung, um die Grundlagen zu verstehen, wie Stammzellen funktionieren und wie sie bei der Behandlung von Krankheiten helfen können. Hier sind nur ein paar Möglichkeiten, wie Stammzellen verwendet werden.
Ein Bereich der Stammzellforschung befasst sich mit der Behandlung von medizinischen Problemen des Dünndarms, bevor eine Operation zur Entfernung beschädigter Teile erforderlich ist. Zum Beispiel untersucht das Labor von Nikhil Thapar am UCL Möglichkeiten, Stammzellen zu verwenden, um Teile des intestinalen Nervensystems wiederherzustellen. Diese Zellen könnten bei der Behandlung von Patienten verwendet werden, die an einer "enterischen Neuropathie" leiden (Versagen des Darmnervensystems, manchmal auch als "Pseudoobstruktion" bezeichnet). Behandlungen, die das Nervensystem des Darms wiederherstellen, würden erheblich dazu beitragen, Operationen zu verhindern, die zu SBS führen.
Forscher verwenden ebenfalls Stammzellen, um Dünndarm "Organoide" zu wachsen (d.h. Organ-ähnliche Gebilde oder Mini-Därme). Diese winzigen Zellgruppen ordnen sich zu einer Schicht von Zellen mit Falten an, die die Struktur und Funktion des Dünndarmepithels nachahmen. Organoide könnten ein billigerer und schnellerer Weg sein, um zu untersuchen, wie der Darm funktioniert, wächst, Schäden repariert und Zellen ersetzt. Sie könnten auch nützlich sein, um Krankheitsmechanismen, Medikamente und neue medizinische Behandlungen im Labor zu verstehen, bevor sie in Versuchen an Tieren oder Menschen getestet werden.
In Fällen, in denen Operationen zur Entfernung des Dünndarms unvermeidlich sind, können Stammzelltransplantate in der Lage sein, bei der Reparatur des Darms nach der Operation zu helfen und einige der verlorenen Zellen und Gewebe nachwachsen zu lassen. Alternativ untersuchen Forscher des internationalen INTENS-Projekts, wie Stammzellen verwendet werden können, um neue Segmente des Darms auf Gerüsten aus biologischen Materialien zu züchten, die transplantiert werden können. Dies ist ein ehrgeiziges Projekt, da der Darm viele verschiedene Arten von Zellen hat, die im gesamten Organ zusammenarbeiten müssen. Die Forscher machen jedoch Fortschritte.
Eines der komplexen Probleme beim Aufbau von Darmgewebe im Labor ist, dass die Stammzellen die Darmform korrekt bilden. Forschungen in Pablo de Coppis Labor an der UCL haben gezeigt, dass Proteingerüste, die aus Spendergewebe hergestellt wurden und von allen ursprünglichen Zellen befreit wurden, eine gute Ausgangsstruktur für die Anhaftung und das Wachstum von Stammzellen darstellen. Andere Aspekte neues Darmgewebe biotechnologisch herzustellen, wie die Produktion der Muskulatur und des Nervensystems des Darms, sind im Forschungsprozess und es kann noch viele Jahre dauern, bis daraus sichere und zuverlässige Behandlungsmöglichkeiten entstehen. Letztendlich könnte aber diese Arbeit erfolgreich sein. Die Verwendung der eigenen Stammzellen eines Individuums zum Wachstum eines biotechnologisch hergestellten Darms würde die Wahrscheinlichkeit einer Transplantatabstoßung stark reduzieren und die Suche nach kompatiblen Spendern vermeiden.
Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) - https://www.dgvs.de
Berufsverband Gastroenterologie Deutschland (BVGD) - https://www.bvgd-online.de
Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE) - http://www.sge-ssn.ch
Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE) - https://www.oege.at
MAGDA - Das unabhängige Informationsforum für Magen-Darm-Erkrankungen - http://www.magendarm-forum.de
Gastroliga e.V. - https://www.gastro-liga.de/
Deutsche Gesundheitshilfe e.V. (DGH) - http://www.gesundheitshilfe.de
Dieses Factsheet wurde von Ryan Lewis im Juni 2017 erstellt und von Nikhil Thapar, University College London, überprüft.
Die Übersetzung des Informationsblatts wurde durch das GermanStemCellNetwork (GSCN) im Jahr 2017 realisiert.
Bilder und Videos
Bildnachweis: Darmepithelzellen (in Hauptbild und "Wussten Sie schon", Dr. Luke Boulter und Dr. Tom Bird MRC Centre for Regenerative Medicine, Universität Edinburgh (das Copyright liegt bei den genannten Autoren, sofern nicht anders angegeben)).
Video Credits: Dreharbeiten und Produktion, Ryan Lewis Scide Light. Dieser Film wurde in Zusammenarbeit zwischen dem INTENS-Stammzellforschungskonsortium und EuroStemCell hergestellt. Beide Projekte erhalten Fördermittel aus dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union im Rahmen der Fördervereinbarungen 668294 und 652796. Wir danken den Wissenschaftlern von INTENS, die zu diesem Film beigetragen haben.
Aktualisiert von: Ryan Lewis