Public Outreach: Den Blick für Stammzellen öffnen
Stefanie Mahler schaut zurück auf ein Jahr Public Outreach Aktivitäten beim Deutschen Stammzellnetzwerk (German Stem Cell Network GSCN). Lesen Sie den ganzen Jahresüberbliclk hier.
Als am 17. März 2016 Schülergruppen in die Institute strömen, Wissenschaftler sich in acht deutschen Städten mit Namensschildern und guten Nerven ausstaffieren und Herzchirurgen Jugendlichen den Einsatz von Stammzellen bei Herzerkrankungen erklären, ist das eine groß angelegte Aktion. 1000 Schüler sind an diesem Tag deutschlandweit auf Stammzellen fokussiert.
Public Outreach will allen Interessierten die Stammzellforschung einfach und verständlich erklären. Mit vielfältigen Mitteln und Methoden: Vortrag, Einzelgespräch, Film, interaktive Spiele, Laborführungen, Hands-on-Experimente, Ausstellungen, Flyer und Artikel – die Liste ist lang und wird kreativ verlängert. In Hannover reichte das sogar soweit, dass eine Schülergruppe bei einer Lungentransplantation zuschauen durfte – alles im Dienste des Public Outreach, dem Anliegen, Interesse, Aufklärung und Meinungsbildung zu unterstützen. Die Wissenschaftskommunikatoren des German Stem Cell Network (GSCN) sind ständig auf der Suche nach neuen Ideen, um ihre Themen der Gesellschaft nahe zu bringen.
Im Frühjahr 2016 sind es Schüler der Oberstufe, die zum ersten Mal in Deutschland am „UniStem Day“ teilnehmen. Ein Jahr Organisation und Planung liegt hinter dem GSCN und den beteiligten Instituten, um diesen Tag erfolgreich zu gestalten. In Deutschland ist es der erste zentral organisierte Bildungstag für Oberstufenschüler, der sich rein um das Thema Stammzellforschung dreht. Das Ziel ist es, das am Abend erschöpfte und faszinierte Jugendliche nach Hause gehen und wissen, worin die Potenziale von Stammzellen liegen. Was es mit ihrer Wandlungsfähigkeit auf sich hat und was Reprogrammierung bedeutet. Warum Forschung nicht gleich Therapie ist. Warum Forschung so lange Zeit braucht. Wie man Stammzellforscher wird und warum ethische Überlegungen und Diskurse in der Gesellschaft wichtige flankierende Themenbereiche der Stammzellforschung sind. Diese Aktionen der Öffentlichkeitsarbeit möchten die jungen Bürger, die zukünftigen Wissenschaftler und die zukünftigen Patienten und Angehörigen frühzeitig einweihen in die Faszination, aber auch die Realität des Wissenschaftleralltags.
„Wir können nicht erwarten, dass jeder auf Anhieb Stammzellforschung versteht“
Das GSCN hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Aufklärung der Gesellschaft zum Thema Stammzellen voranzutreiben. Ziel ist es dabei, die komplexe Verflechtung von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die ethischen Implikationen und die zeitraubenden und aufwendigen Entwicklungsschritte in Richtung klinische Studien und Therapien, für die Bürger und Entscheidungsträger verständlich zu machen. Dazu gehört es, die Ängste oder Bedenken aus gesellschaftlichen Gruppen aufzunehmen und zu diskutieren, etwa in Podiumsdiskussionen oder Interviews. „Kürzlich diskutierte ich mit katholischen Theologen und Geschäftsleuten über Stammzellforschung und es war hoch interessant und bereichernd für beide Seiten“, erzählt GSCN-Geschäftsführer Daniel Besser. „Es ist eine komplizierte Materie und wir können nicht erwarten, dass jeder auf Anhieb Stammzellforschung verstehen und einordnen kann.“ Daher bedeutet Public Outreach für das GSCN, sich viele Formen der Vermittlung zu überlegen, damit verschiedene Gruppen, von Schülern über Patienten zu Senioren, an ihrem Wissens- und Kommunikationsniveau abgeholt werden können.
„Bei unseren öffentlichen Veranstaltungen gibt es oft Senioren, die sich sehr interessiert an einer speziell von uns konzipierten Ausstellungsreihe über Stammzellen und Krankheiten zeigen“, so Besser. Dazu werden auf den Veranstaltungen vom GSCN produzierte Kurzvideos über Stammzellforscher und ihre Arbeit gezeigt – als leicht verständliche Einführung in die Diskussion. Ganz wichtig ist es dabei, faktentreu zu kommunizieren. Das GSCN übertreibt nicht in der Darstellung der Forschungserfolge und verharmlost oder verschweigt keine Risiken. „Uns ist es ganz wichtig, keine unbegründeten Befürchtungen oder Hoffnungen zu wecken“, betont Besser.
Als die Stammzellforschung in den Blick der Öffentlichkeit rückte, wurde der Bedarf an öffentlicher Aufklärung und guter Wissenschaftskommunikation deutlich. Mit der medialen Aufmerksamkeit am Antrag eines Stammzellforschers im Jahr 2002, menschliche embryonale Stammzellen für Forschungszwecke nutzen zu dürfen und die Erzeugung von iPS-Zellen im Jahr 2006, stieg der Aufklärungs- und Diskussionsbedarf quasi über Nacht.
„Bei uns im Institut riefen damals viele Journalisten und Patienten an und fragten nach Stammzellen, iPS-Zellen und den Möglichkeiten und Risiken dahinter“, erinnert sich Tobias Cantz an seine damalige Zeit am Max-Planck-Institut für biomedizinische Forschung in Münster im Labor von Hans Schöler, der 2006 im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. „Als Arzt kannte ich den Vorgang, Patienten behutsam aber deutlich den Sachverhalt ihrer Krankheit und ihrer therapeutischen Möglichkeiten zu erklären. Das habe ich als innere Haltung übertragen auf meinen Zugang zur Öffentlichkeit.“
Wissenslücken füllen und ethische Diskussion anregen
In Münster gründeten Biomediziner und Ethiker damals zusammen mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) „Zellux“, eine Internetseite über Stammzellforschung für die Schule. Zielgruppe sind Lehrer und Schüler. „Wir wollten eine qualitativ gesicherte Seite anbieten. Im Netz gab es so viele ungesicherte, zum Teil absurde Informationen über Stammzellen. Und so haben wir das ganze Informations- und Unterrichtsmaterial selbst geschrieben.“ Seitdem ist Tobias Cantz nicht nur Wissenschaftler, sondern ein leidenschaftlicher Akteur in der Öffentlichkeitsarbeit. Selbst nach zehn Jahren Erfahrung mit Schulklassen und Lehrern interessieren den jungen Professor vor allem der Entwicklungs- und Argumentationsstand der Schüler. „Für mich ist das eine ganz wichtige Arbeit. Ich erlebe über die Jugendlichen ihren Stand der Meinung und wünsche mir, mit ihnen vor allem auch ethische Grundsätze zu diskutieren.“ Die Arbeit mit den Jugendlichen hält Cantz neugierig. Seine Beobachtung: die Vehemenz der gesellschaftlichen Diskussion über Stammzellforschung hat abgenommen und ist eher einer praktischen Ethik gewichen. Sein Wunsch? „Ich würde den Schülern gerne noch bessere Informationen zur Verfügung stellen, damit sie die Dynamik, die Potenziale, aber auch die ethischen Fragestellungen der modernen Entwicklungen in der Biomedizin besser begreifen und darüber diskutieren können.“ So berät er gerade als Experte die Entwicklung von Schulmaterialien für das German Stem Cell Network und die Schering Stiftung – um auch zukünftig Wissenslücken zu füllen.
Aktivitäten den Zielgruppen anpassen
„Eine der ersten Zielgruppen unserer Aktivitäten waren Politiker“, blickt Ira Herrmann, zusammen mit Tobias Cantz Koordinatorin der GSCN-Fachgruppe Öffentlichkeitsarbeit, auf ihre Zeit als Geschäftsführerin des Kompetenznetzwerks Stammzellforschung Nordrhein-Westfalen zurück. 2002 prasselten bei ihr im Zuge des Antrages des Bonner Neurobiologen Oliver Brüstle zur Nutzung embryonaler Stammzellen für Forschungszwecke die Anfragen nur so ein und sie richtete sich in ihrer Aufklärungsarbeit an Politiker, die Presse aber auch immer an interessierte Bürger. Mit den in den Medien widergespiegelten Forschungsergebnissen kam bald noch eine weitere Gruppe dazu: Patienten. „Sie riefen bei uns an und wünschten sich so sehr eine Therapie, die wir aber nicht bieten konnten. Da fällt eine objektive Beratung manchmal schwer“, sagt Herrmann. Ihre Idee: eine Vorlesung im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen für Hausärzte, um über Chancen und Risiken möglicher angebotener Stammzelltherapien aufzuklären. „Damit erreichten wir die Multiplikatoren, die als Erstversorger und oft auch als langjähriger Begleiter von chronisch Kranken unmittelbar mit den Patienten zu tun hatten“, erklärt sie ihren Ansatz. Die Patienten direkt versorgte sie in den ersten Jahren noch mit englischsprachigen Informationen aus Kanada und den USA, bevor Herrmann für das Kompetenznetzwerk NRW auch eine deutsche Internetseite schuf, die Informationen bereitstellte. Fakten und Fragen über ungeprüfte Therapien und wichtige Gesichtspunkte eines Patienten fasste sie 2016 für das GSCN zusammen: in einem Info-Flyer können Patienten nun Antworten finden auf die dringendsten Anliegen und werden in die Lage versetzt, selbst wichtige Fragen stellen – zum Beispiel gegenüber Anbietern von sogenannten Stammzelltherapien.
Das German Stem Cell Network hat seit 2013 neue Felder angestoßen: Mit öffentlichen Podiumsdiskussionen und Videos über deutsche Stammzellforscher und ihre Arbeit laden sie die interessierte Öffentlichkeit dazu ein, sich mit Stammzellen zu beschäftigen. „Wir haben mittlerweile einen Fundus an zur Verfügung stehenden Methoden, um möglichst viele Gruppen mit Informationen zu erreichen“, sagt Daniel Besser. Die größte Aktion war bisher der „UniStem Day“, das neueste Projekt entwickelt aktuelles Schulmaterial für vier Unterrichtsmodule, die in Form einer Konferenz für Schüler daherkommt. Nun soll auch das Filmportal mit eigens durch das GSCN produzierten Forscherportraits ausgebaut werden, die es in Großbritannien schon auf die Bestseller-Klickliste des europäischen Outreach-Netzwerks EuroStemCell geschafft haben.
Aktualisiert von: Stefanie Mahler
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