Diabetes: Wie könnten Stammzellen helfen?
Diabetes ist eine weit verbreitete, lebenslange Erkrankung. Die Zahl der mit Typ-1-Diabetes diagnostizierten Kinder nimmt stetig zu. Die Symptome sind zwar kontrollierbar, eine Heilung gibt es jedoch nicht. Für viele Menschen bedeutet Diabetes lebenslange tägliche Insulininjektionen und die Gefahr langfristiger Gesundheitsschäden.
Wenn der Blutglukosespiegel (Blutzuckerspiegel) ansteigt, setzen die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse Insulin frei. Insulin fordert Zellen im gesamten Körper auf, Glukose aus dem Blut aufzunehmen.
Bei Typ-1-Diabetes zerstört das Immunsystem die Betazellen. Bei Typ-2-Diabetes nehmen die Zellen nicht genug Glukose auf – entweder weil sie nicht mehr so empfindlich auf Insulin reagieren oder weil zu wenig Insulin produziert wird.
Patienten mit Typ-1-Diabetes müssen ihr Blut täglich testen und Insulin spritzen.
Wissenschaftler haben pluripotente Stammzellen erfolgreich eingesetzt, um auf Glukose reagierende Zellen zu produzieren, die wie Betazellen Insulin freisetzen. Klinische Studien zu diesen Zellen laufen.
Zwar wird Diabetes recht gut verstanden, doch dies gilt nicht für seine Ursachen. Es laufen immer noch Forschungsprojekte, mit denen herausgefunden werden soll, was das Immunsystem bei Typ-1-Diabetes dazu bringt, Betazellen zu zerstören.
Die aktuelle Forschung untersucht den Einsatz von Stammzellen zur Herstellung von Betazellen, mit denen Patienten mit Typ-1-Diabetes transplantiert werden können. Derzeit laufen klinische Studien mit Vorrichtungen/Kapseln, mit denen Vorläuferzellen von Betazellen, die von transplantierten Stammzellen stammen, vor dem körpereigenen Immunsystem des Patienten geschützt werden können.
Auch sind die Forscher an einem möglichen Einsatz von Arzneimitteln interessiert, mit denen körpereigene Zellen in der Bauchspeicheldrüse angeregt werden, auf natürliche Weise mehr Betazellen zu bilden.
Autoimmunität ist eine große Herausforderung bei Typ-1-Diabetes. Selbst wenn neue Betazellen produziert oder einem Patienten transplantiert werden, greift das Immunsystem letztendlich diese Zellen an und zerstört sie. So muss bei der Entwicklung von Therapien überlegt werden, wie neue Betazellen vor dieser Attacke geschützt werden könnten. In der Regel werden hierfür Immunsuppressiva eingesetzt, welche ein erhöhtes Infektionsrisiko als unselige Nebenwirkung haben.
Alle Zellen im Körper brauchen Energie, um zu leben. Diese Energie wird im Körper in Form von Blutzucker (Glukose) transportiert. Es gibt mehrer Formen von Diabetes. Was sie alle gemein haben ist ein Problem mit der Regulierung eines normalen Blutzuckerspiegels. Normalerweise wird der Blutzuckerspiegel durch Freisetzung des Hormons Insulin geregelt. Insulin wird durch Zellen der Bauspeicheldrüse produziert, den Betazellen, die sich mit anderen Bauchspeicheldrüsenzellen zusammen zu den so genannten Langerhans-Inseln gruppieren. In einer menschlichen Bauchspeicheldrüse befinden sich rund eine Million Langerhans-Inseln.
Wo ist die Bauchspeicheldrüse?: Sie befindet sich im Unterleib neben dem Dünndarm und dem Magen. Die Zellen in der Bauchspeicheldrüse, welche Insulin produzieren (Betazellen) sind in diesem Video von Dror Sever und Anne Grapin-Botton rot markiert.
Es gibt mehrer Formen von Diabetes. Was sie alle gemein haben ist ein Problem mit der Regulierung eines normalen Blutzuckerspiegels.
Die häufigsten Formen von Diabetes:
Typ-1-Diabetes liegt vor, wenn das körpereigene Immunsystem die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse schädigt und sie zerstört, so dass sie kein Insulin mehr erzeugen. Als Folge bleibt der Blutzuckerspiegel ständig hoch, was schließlich zu Organversagen durch Blutgefäßschädigung führen kann.
Typ-2-Diabetes entsteht, wenn Insulin nicht mehr korrekt als Signal für Körperzellen funktioniert, dass mehr Zucker absorbiert werden muss. Dies kann eintreten, wenn Zellen nicht mehr auf Insulin reagieren oder wenn Betazellen zu viel oder zu wenig Insulin produzieren, oder sogar durch eine Kombination beider Umstände.
Diabetes ist derzeit nicht heilbar. Diabetes-Typ-2 lässt sich zwar oft zumindest teilweise durch gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung unter Kontrolle bringen, Typ-1-Diabetes hingegen nicht. Menschen, die an Typ-1-Diabetes leiden, müssen sich zum Überleben selbst Insulin verabreichen (durch Einspritzen oder eine Pumpe) und mehrmals täglich ihren Blutzuckerspiegel messen, um die Insulindosis zu bestimmen. Leider ist es schwierig, den Blutzuckerspiegel normal zu halten. Langfristig kann ein erhöhter Blutzuckerspiegel schwere Schädigungen an Herz, Augen, Blutgefäßen, Nieren und Nerven hervorrufen. Wird dagegen zu viel Insulin injiziert, kann der Blutzuckergehalt zu tief sinken (Hypoglykämie), was tödlich sein kann.
Typ-1-Diabetes lässt sich behandeln, indem man dem Patienten isolierte Pankreasinseln von einer Spenderbauchspeicheldrüse oder sogar eine ganze gespendete Bauchspeicheldrüse verpflanzt. Mit einer solchen Transplantation kann es funktionieren, dass der Körper den Blutzuckerspiegel wieder eigenständig regelt und Insulinspritzen überflüssig werden. Die Verpflanzung einer ganzen Bauchspeicheldrüse ist ein schwerwiegender Eingriff mit erheblichem Risiko. Eine Inselzell-Transplantation wird normalerweise durch eine Infusion von isolierten Spenderinseln durch die Portalvene der Leber durchgeführt, wo sich die neuen Inselzellen dann ansiedeln.
Es gibt allerdings Schwierigkeiten bei der Transplantation von Langerhans-Inseln:
- Die Nachfrage nach Transplantaten übersteigt bei weitem die verfügbaren Spender, und die Inseln müssen ein ausreichende Qualität und Größe haben.
- Transplantationen von Spenderzellen (Inselzellen oder vollständige Bauchspeicheldrüse) bedeuten, daß das Immunsystem durch Medikamente (Immunsuppressiva) unterdrückt werden muss, damit die gespendeten Bauchspeicheldrüse oder Inselzellen nicht abgestoßen werden. Die Immunsuppressiva wiederum machen den Empfänger infektionsanfällig und haben oft Nebenwirkungen. Deshalb kommen heutzutage nur einige wenige Patienten mit Typ-1-Diabetes für eine Transplantation in Frage.
Auch unter der Verwendung von Immunsuppressiva nimmt die Funktion des Transplantats höchstwahrscheinlich wegen chronischer Abstoßung allmählich ab, und weitere Transplantate sind möglicherweise erforderlich. Wenn eine Zerstörung der Spenderzellen durch das Immunsystem ausgelöst wurde, wird es möglicherweise schwieriger, ein passendes zweites Transplantat zu finden, da weitere Inseltransplantate und andere Organtransplantationen, wie z.B. die Niere, eher abgestoßen werden.
Es gibt zur Zeit noch keine geprüften Behandlungsmethoden für Diabetes mit Stammzellen. Wenn Betazellen im Labor hergestellt werden können, ließe sich das Problem der Gewinnung der richtigen Anzahl von funktionellen Inselzellen für den Bedarf von zukünftigen Transplantationen lösen.
Aktuelle Ansätze zur Herstellung neuer Betazellen für eine Therapie:
- Reife menschliche pluripotente Stammzellen können sich im Labor zu Betazellen differenzieren, die Diabetiker transplantiert werden können.
- Reife Betazellen könnten aus anderen Zelltypen, beispielsweise Leberzellen, hergestellt und in Diabetiker transplantiert werden.
- Medikamente könnten die Zellen in der Bauchspeichel-drüse von Diabetikern anregen, neue Beta-Zellen zu produzieren.
Für alle diese Ansätze wird in der laufenden Forschung untersucht:
- Wie können wir die Zellen vor dem Angriff durch das Immunsystem schützen, nachdem sie transplantiert worden sind?
Herstellung von Betazellen aus pluripotenten Stammzellen
Pluripotenten Zellen (sowohl embryonale Stammzellen als auch induzierte pluripotente Stammzellen) können sich zu jedem Zelltyp im Körper entwickeln, und Forscher untersuchen, wie diese zu voll funktionsfähigen Betazellen entwickelt werden können. Solche Zellen könnten die begrenzte Anzahl von Langerhans-Inseln von Spendern ersetzen. Forscher haben bisher erfolgreich Zellen aus menschlichen pluripotenten Stammzellen hergestellt, die im Labor und in Mäusen in ähnlicher Weise wie normale Betazellen auf Glukose reagieren. Überdies ließ sich der Glukosespiegel nach Transplantation in diabetischen Mäusen normalisieren. Diese Betazellen werden in Kürze in Phase 1 klinischen Studien auf die Sicherheit für Patienten getestet.
Herstellung von Betazellen aus anderen Zellen
Einige Forscher glauben, es könnte möglich sein, neue Betazellen aus anderen Zellen, die bereits in der Bauchspeicheldrüse des Patienten vorhanden sind, herzustellen. Dieser Prozess wird üblicherweise Regeneration genannt. Es ist nicht bekannt, ob Stammzellen in der Bauchspeicheldrüse existieren, allerdings wurden Betazell-Vorläuferzellen in Mäusen identifiziert. Einige Forscher hoffen, dass, wenn diese Vorläuferzellen auch im Menschen existieren, sie Medikamente entwickeln können, welche diese Vorläuferzellen in Patienten in neue Betazellen umwandeln. Selbst wenn das möglich wäre, müßte man natürlich eine autoimmune Zerstörung der neu hergestellten Betazellen verhindern. Diese Untersuchungen sind noch experimenteller Natur und sind noch nicht an einem Punkt, an dem klinische Studien nahe liegen.
Schutz der Zellen vor dem Immunsystem
Es wird daran gearbeitet, einen effektiven Weg zur Verkapselung von transplantierten Zellen zu finden, um sie vor einem Immunangriff zu schützen. Im Moment sind mehrere Forschergruppen und Unternehmen (ViaCyte und Beta-O2Technologies) an klinischen Phase-1-Studien beteiligt, die zum Ziel, haben eine Kapsel zu entwickeln, welche die Abgabe von Insulin nach außen, also in den Patienten, ermöglicht, jedoch gleichzeitig die Zellen in der Kapsel vor dem Immunsystem schützt.
Weiterhin arbeitet man auch daran, Medikamente zu entwickeln, welche die Immunreaktion abschwächen. Ergebnisse dieser Forschung könnten bessere Therapien mit Betazellen aus den verschiedenen Quellen schaffen.
Transplantation von Vorläuferzellen aus pluripotenten Zellen
Die Tatsache, daß es möglich ist, effizient Betazellen von pluripotenten Stammzellen zu erzeugen, ist ein starkes Argument dafür, daß es an der richtigen Zeit ist, die Sicherheit und Wirksamkeit dieser Zellen in Patienten mit Typ-1-Diabetes zu testen. Zwei klinische Versuche mit Stammzellen für Typ-1-Diabetes wurden in den letzten Jahren gestartet. Beide werden von der biotechnischen Firma ViaCyte geleitet und basieren auf dem Gebrauch von Bauchspeicheldrüse Voräuferzellen, die in ein kreditkartenähnliches Gehäuse platziert und in den Körper transplantiert werden. Man hofft, daß, ähnlich wie bei Versuchen in Mäusen, die Vorläuferzellen im Körper spontan zu Insulin-produzierenden Betazellen reifen und die entschwundenen Betazellen ersetzen.
Der erste klinische Versuch begann im Juli 2014. Diese Phase 1/2 klinische Studie galt der Testung von Sicherheit und Wirksamkeit des PEC- EncapTM Produkts, welches aus Voräuferzellen besteht, die in einer Vorrichtung plaziert sind, welche die Freisetzung von Insulin in den Blutkreislauf erlaubt und gleichzeitig das Immunsystem am Angriff der Zellen hindert. ViaCyte meldete 2018, daß PEC-Encap sicher ist und von Patienten gut toleriert wird, und die Encaptra® Vorrichtung dabei wie entworfen immungeschützt sei. Trotzdem ist eine Weiterentwicklung nötig, um die effektive Einpflanzung in Patienten zu sichern. Zu diesem Zweck arbeitet ViaCyte mit W. L. Gore & Associates zusammen, um neue Vorrichtungen zur Einpflanzung zu entwickeln.
2017 begann ViaCyte eine weitere Phase 1/2 Studie in den USA und Kanada, in welcher die gleichen Voräuferzellen in einer Vorrichtung transplantiert werden, die die direkte Vaskularisierung der Zellen erlaubt. Da diese Vorrichtung den Gebrauch von Immunsuppressiva notwendig macht, um einen Abstoß des Transplantats zu vermeiden, ist es nur für Patienten mit Typ-1-Diabetes bestimmt mit einem hohen Risiko für akute Komplikationen wie Koma und Todesfall. Dank einer lang bestehenden Zusammenarbeit mit dem internationalen Beta Cell Therapy Konsortium (www.betacelltherapy.org/) wurde im November 2018 mit der Einpflanzung in die ersten europäischen Patienten in Brüssel, Belgien, eine neue Phase eingeleitet.
Diabetes Atlas - statistics from the International Diabetes Federation (IDF)
International Diabetes Federation
Innovative Medicines Initiative for Diabetes (IMIDIA)
Diabetes UK - information and patient support
My Life - information for younger people living with diabetes
Centre for beta cell therapy - research consortium
ViaCyte – information about the first human clinical trial for diabetes
Classroom resource about stem cells and diabetes using real science data
Dieser Artikel wurde von Sarah Pattison verfasst.
In 2011 überarbeitet von Harry Heimberg.
In 2015 überarbeitet und aktualisiert von Henrik Semb.
In 2018 überarbeitet und aktualisiert von Henrik Semb und Eelco de Koning.
Die deutsche Übersetzung wurde im Auftrag vom German Stem Cell Network (GSCN) erstellt und von Heiko Lickert, Ulrike Koller und Katrin Ottersbach rezensiert.
Bilder und Filme (wenn nicht anders vermerkt, liegen die Copyright-Rechte bei den genannten Personen)
- Menschliche Langerhans-Insel mit Beta- und Alphazellen, die durch die Verwendung von Insulin und Glucagon Antikörpern grün und violet hervorgehoben wurden © Olle Korsgren.
- Bilder von Langerhans-Inseln von Personen ohne Diabetes und mit Typ-1-Diabetes © Johan Olerud
- Film zur Bauchspeicheldrüse ‘The pancreas’, der die Bauchspeicheldrüse, den Magen und den Zwölffingerdarm zeigt © Dror Sever and Anne Grapin-Botton
- Diagramm „Insulinproduktion in der menschlichen Bauchspeicheldrüse” © 2001 Terese Winslow (mit Unterstützung von Lydia Kibiuk).
- Bild zur Injektion bei Diabetes © Wellcome Library, London.
- Insulin produzierende Zellen aus embryonalen Stammzellen: Anfärbung des C-Peptides der Insulin-produzierenden Zellen aus hESCs mit freundlicher Genehmigung von Katja Hess/Zarah Löf Öhlin
- ‘Isolation von menschlichen Langerhans-Inseln, die in Transplantationen verwendet werden’ von Andrew Friberg (CC BY 3.0)
- Die Geburt der Betazellen von Cameron Duguid (CC BY 3.0)
- Kaspel zur Transplantation von Zellen © ViaCyte