Krebs: eine Krankheit der Stammzellen?

Krebs ist der Gegenstand intensiver Forschung weltweit, doch viele Fragen zu den Ursachen dieser Krankheit konnten bis jetzt nicht beantwortet werden. Wodurch entsteht Krebs und wie wachsen Tumore? Die Krebsstammzellen-Theorie könnte einige Erklärungen darüber liefern, wodurch bestimmte Krebsarten verursacht werden und warum manche Patienten einen Rückfall erleiden.

Mutationen in Genen, die die Zellteilung steuern, können bewirken, dass aus gesunden Zellen Krebszellen werden. Aber es ist noch unklar, wie Krebszellen in einem Tumor wachsen.

Nur ein Teil der Zellen in Tumoren teilt und vermehrt sich weiterhin. Diese Beobachtung hat zu zwei Theorien darüber geführt, wie Tumore wachsen.

Das „Krebsstammzell-Modell“ geht davon aus, dass Krebsstammzellen alle anderen Zellen in einem Tumor erzeugen. Einige Tumorzellen können sich für kurze Zeit teilen, aber nur Krebsstammzellen können unbegrenzt neue Zellen bilden.

Das „stochastische Modell“ nimmt an, dass sich viele Zellen in einem Tumor vervielfältigen, differenzieren und gleichermaßen zum Tumorwachstum beitragen.

Im Hinblick auf Krebsstammzellen ist vieles noch unbekannt, auch ob sie überhaupt in allen Krebsarten vorkommen. Bislang konnte keine der beiden Theorien endgültig bewiesen werden und möglicherweise treffen unterschiedliche Theorien auf verschiedene Krebsarten zu. Forscher suchen nach konkreteren Beweisen dafür, dass Krebsstammzellen in Tumoren vorhanden sind.

Forscher versuchen zu ermitteln, aus welchen Zellen Krebszellen werden. Kann jede Zelle eine Krebsstammzelle werden oder entstehen Krebsstammzellen nur durch Genmutationen in natürlichen Stammzellen?

Forscher wollen wissen, wie sich verschiedene Gene, Mutationen, Signale und Umgebungen auf das Verhalten von Krebsstammzellen auswirken. Die Untersuchung von Krebsstammzellen ist häufig deshalb so schwierig, weil Zellen in einem Labor isoliert werden müssen. Dort verhalten sie sich unter Umständen ganz anders als im Körper.

Cancer

Im gesunden Körper finden wir viele verschiedene Arten von Zellen, die sich teilen können um so neue Zellen zu produzieren. Dies ist ein sorgfältig gesteuerter Prozess, der dem Körper erlaubt zu wachsen und verloren gegangene oder beschädigte Zellen während des gesamten Lebens zu ersetzen. Bei einer Krebserkrankung jedoch teilen sich Zellen in einer unkontrolliert ablaufenden Art und Weise und formen so schließlich eine abnorme Ansammlung von Zellen, auch Tumor genannt. Krebszellen geraten außer Kontrolle aufgrund von Mutationen (Veränderungen) ihres Erbguts. Diese Mutationen sammeln sich an, während sich die Zellen teilen und altern, wobei bestimmte Kombinationen genetischer Veränderungen in der Folge Krebs verursachen können.

Trotz intensiver Forschung ist nach wie vor unklar wie genau Tumore wachsen. Bösartige Wucherungen bestehen oft aus einer Mischung verschiedenster Zelltypen. Einige dieser Zellen teilen sich wiederholt, während andere sich zu ausgereiften, spezialisierten Zelltypen entwickeln, die sich nicht mehr vermehren können. Derzeit gibt es zwei primäre Theorien zur Erklärung der Tumorentstehung: die Krebsstammzellen-Theorie und das stochastische Modell des Krebswachstums.

Krebsentstehung
Krebsentstehung: die Krebsstammzellen-Theorie schlägt eine klare Hierarchie der Zellen innerhalb eines Tumors vor. Das stochastische Modell besagt, dass Tumorwachstum ein zufälliger Prozess ist, zu dem alle Zellen beitragen können.

Die Krebsstammzellen-Theorie schlägt vor, dass Tumore genau wie normale Gewebe im Körper wachsen, wobei die Stammzellen den Ausgangspunkt eines organisierten Systems bilden, das neue Zellen produziert um ein Gewebe wachsen zu lassen. Nach dieser Theorie beinhaltet ein Tumor:

  • Krebsstammzellen, die sich teilen und das Tumorwachstum vorantreiben. Diese Zellen können sich umfassend selbst erneuern (kopieren) und produzieren auch reifere Zellen in Zwischenstadien welche Transit-amplifizierende Zellen genannt werden.
  • Transit-amplifizierende Zellen, die nur noch ein begrenztes Teilungsvermögen aufweisen, und sich anschließend in spezialisierte Tumor-Zellen differenzieren (heranreifen).
  • Spezialisierte Tumor-Zellen, die sich nicht mehr teilen und nicht mehr zum Tumorwachstum beitragen.

Nach dieser Idee sind alle Zellen im Tumor Teil eines streng organisierten Systems - mit den Krebsstammzellen als ursprünglichem Ausgangspunkt, die alle weiteren Zelltypen in einem Tumor produzieren können.

Das stochastische Modell wiederum bietet eine andere Erklärung für das Tumorwachstum. Diese Theorie argumentiert, dass grundsätzlich alle Krebszellen dasselbe Potential aufweisen zu wachsen und sich zu teilen, wobei jede Zelle zufällig zwischen Selbsterneuerung oder Differenzierung wählt. Die Zellen in einem Tumor sind somit nicht Teil eines organisierten Systems sondern jede einzelne Zelle hat dasselbe intrinsische Potential zum Tumorwachstum beizutragen.

Verschiedene Typen von Krebsarten mögen verschiedene Eigenarten aufweisen - von daher ist es möglich, dass beide Theorien der Wahrheit entsprechen. Es wäre denkbar, dass sie sich auf unterschiedliche Krebsarten oder auch verschiedene Entwicklungsstadien anwenden lassen.

Es gibt keinen endgültigen Beweis zugunsten einer der beiden Theorien des Krebswachstums. Ein wachsender Anteil an neuen Forschungsergebnissen jedoch deutet an, dass die Krebsstammzellen-Theorie in vielen Fällen zu gelten scheint. Der erste Hinweis zugunsten von Krebsstammzellen ergab sich aus Studien zur Leukämie beim Menschen. Wissenschaftler fanden heraus, dass nur ein Teil der Leukämiezellen dazu fähig war, auch tatsaechlich Leukämie auszulösen, wenn sie in einen gesunden Körper verpflanzt wurden - eine zentrale Eigenschaft von Stammzellen.

Seit dieser Entdeckung haben viele Wissenschaftler Zellen mit den Eigenschaften von Krebsstammzellen auch in anderen Krebsarten beim Menschen und der Maus nachgewiesen. Dazu gehören Brustkrebs, aber auch Gehirn-, Haut-, Prostata- und Darmtumore. In einigen Krebserkrankungen scheinen Krebsstammzellen eher seltener vorzukommen, wie zum Beispiel bei Darmkrebs. Andere Arten, wie beispielsweise das Melanom, weisen dafür eine enorm gesteigerte Anzahl an Tumorzellen mit Krebsstammzell-Charakteristik auf.

Krebsstammzellen sind kontrovers

Die Krebsstammzellen-Theorie ist nach wie vor kontrovers, denn um die Existenz von Krebsstammzellen nachzuweisen, sind Wissenschaftler derzeit allein auf Experimente angewiesen, bei denen der Tumor zuerst in seine Einzelteile zerlegt wird um dann einzelne Zellen zu isolieren und zu transplantieren. Dieses Verfahren gibt das natürliche Tumorwachstum nicht exakt wieder. Um nachzuweisen, dass die transplantierten Zellen auch wirklich Krebsstammzellen sind, werden sich Wissenschaftler in Zukunft auf die einzelnen Zellen konzentrieren müssen um direkte Beweise zu finden, dass diese Zellen tatsaechlich zum Tumorwachstum innerhalb der natürlichen Umgebung beitragen. 

Das Krebsstammzellen-Konzept hat wichtige Auswirkungen auf die Krebstherapie. Sollten Krebsstammzellen wirklich für das Tumorwachstum verantwortlich sein, dann könnte ihre Eliminierung möglicherweise den Patienten heilen.

Krebsstammzellen und Therapie
Krebsstammzellen und Therapie: wenn eine Krebsbehandlung zwar den Großteil des Tumors zerstört, jedoch die Krebsstammzellen unberührt lässt, dann können sich diese Stammzellen selbst erneuern und der Tumor kommt zurück.

Es wurde auch vermutet, dass Krebsstammzellen resistenter gegenüber einer Chemo- oder Radiotherapie sind als andere Zellen eines Tumors. Dies könnte einer der Gründe dafür sein, dass manche Patienten nach einer erfolgreichen Krebstherapie einen Rückfall erleiden. Ein besseres Verständnis davon, wie Krebsstammzellen sich gegen die Therapie durchsetzen, könnte möglicherweise zur Entwicklung neuer, effizienterer Heilverfahren führen.

Es müssen noch viele weitere Fragen zum Thema Krebs beantwortet werden. Weitere Studien sind dringend notwendig, um genauer bestimmen zu können wie verschiedene Krebsarten wachsen und warum sie gegen manche medizinische Therapien resistent sind. Sind Stammzellen Bestandteil aller Tumore? Welche Zelle ist der ursprüngliche Ausgangspunkt der Krebserkrankung? Wissenschaftler untersuchen weiters wie genau Krebsstammzellen kontrolliert werden. Welche Gene, Proteine oder andere Moleküle sind in ihrer Entwicklung und in ihrem Verhalten involviert? Entscheidet auch die unmittelbare Umgebung des Tumors darüber wie sich Krebsstammzellen verhalten? Die Antworten auf diese Fragen werden für zukünftige Therapiestrategien entscheidend sein.

Dieses Factsheet wurde von Cedric Blanpain erstellt.

Bilder von Cedric Blanpain, Benjamin Beck, Khalil Kass, Youssef und Gaelle Lapouge.

Übersetzung ins Deutsche von Christine Weber.