Infantile Zerebralparese: Hilfe durch Stammzellen?

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Die infantile Zerebralparese betrifft in Europa etwa zwei von tausend Kindern und ist die am weitesten verbreitete Körperbehinderung im Kindesalter. Sie verursacht viele körperliche Symptome, darunter Schwierigkeiten beim Gehen und bei der Bewegungskoordinierung. Bisher wurde keine Therapie gefunden. Können vielleicht Stammzellen helfen?

Mit dem Begriff „infantile Zerebralparese“ wird eine Gruppe von körperlichen und geistigen Behinderungen bezeichnet, die durch Schäden am sich entwickelnden Gehirn des Kindes während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt hervorgerufen werden. In vielen Fällen ist die genaue Ursache des Hirnschadens nicht bekannt.

Patienten mit Zerebralparese leiden häufig an Sprachstörungen, Problemen bei der Bewegungskoordination und beim Essen und an Koordinationsstörungen der Augenbewegungen. Bei einigen Patienten kommt es auch zu einer Lernbehinderung.

Die Zerebralparese ist nicht heilbar. Die Therapien konzentrieren sich auf die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Kommunikation. Einige Arzneimittel sind auf dem Markt, welche die Muskelsteife der Patienten lindern oder bei Schwierigkeiten mit dem Füttern von Säuglingen helfen.

Die Studien zur Untersuchung einer möglichen Nutzung von Stammzellen zur Behandlung der Zerebralparese befinden sich noch in einem sehr frühen Stadium.

Derzeit gibt es keine zugelassenen Stammzelltherapien für Zerebralparese.

Die Forscher vermuten, dass Therapien mit neuralen Stammzellen (einer im Gehirn vorkommenden Stammzellart) einige Funktionen wiederherstellen könnten. Durch die Transplantation von neuralen Stammzellen oder durch Wirkstoffe, welche die körpereigenen neuralen Stammzellen aktivieren, könnten Neuronen und andere unterstützende Gehirnzellen repariert und ersetzt werden.

Mesenchymale Stammzellen (MSC) können zwar keine neuen Gehirnzellen bilden, aber erste Studien lassen vermuten, dass MSC Substanzen freisetzen, welche die natürlichen Reparaturvorgänge im Gehirn fördern.

Jeder Fall von Zerebralparese ist anders. Daher ist es sehr schwierig, die Ursachen und Auswirkungen dieser Behinderung zu verstehen.

Der Entwicklungsprozess des Gehirns von Menschen und Tieren läuft sehr unterschiedlich ab. Deshalb ist die Untersuchung und Testung neuer Behandlungen für Störungen der Gehirnentwicklung außergewöhnlich schwer und Ergebnisse aus Tierversuchen können nicht zwangsläufig auf den Menschen übertragen werden.

Der Wiederherstellung des Gehirns von Patienten mit Zerebralparese mithilfe von Stammzellen ist eine unglaubliche Herausforderung, da neue Zellen und Neuronen korrekt in das komplexe Netzwerk aus Tausenden anderer Neuronen im Gehirn eingebunden werden müssen.

Infantile Zerebralparese ist eine allgemeine Bezeichnung für die Folgen eines frühkindlichen Hirnschadens. Sie geht mit einer Reihe von Symptomen einher, wie Muskelschwäche und Bewegungsstörungen. Die Schädigung erfolgt meist in der frühen Entwicklungsphase des Gehirns, entweder bereits im Embryo während der Schwangerschaft oder in der Zeit kurz nach der Geburt. Zu den Symptomen zählen Störungen beim Gehen, bei Gleichgewicht und bei der Bewegungskoordination, Ess-, Schluck- und Sprachstörungen sowie Koordinationsstörungen der Augenbewegungen. Auch unterschiedlich schwere Intelligenzminderungen können auftreten. Die Ausprägung der Zerebralparese ist jedoch bei jeder betroffenen Person anders.

Einige Beispiele von Zellarten im Gehirn
Einige Beispiele von Zellarten im Gehirn: Viele verschiedene Arten von Zellen wirken zusammen, um Signale innerhalb des Gehirns und zwischen Gehirn und Körper zu übermitteln. Die Zerebralparese ist oft schwer zu behandeln, weil hier alle möglichen Zelltypen und ihre Verbindungen geschädigt sein können.

 

Jedes Kind ist ein Individuum, und die Zerebralparese wirkt sich unterschiedlich aus, je nachdem, welches Hirnareal geschädigt wurde. Die Diagnose erfolgt in der Regel durch Kernspintomographie der Hirnschäden und Abwägung, welches Bewegungsproblem des Patienten am schwerwiegendsten ist. Außerdem werden wichtige kindliche Entwicklungsphasen wie Sitzen, Krabbeln, Laufen überwacht. Es gibt vier Hauptformen der infantilen Zerebralparese: spastisch, dyskinetisch, ataktisch oder Mischformen mit mehr als einer Bewegungsstörung. Die spastische Zerebralparese ist die häufigste Form und macht rund 80% der Fälle aus. Charakteristisch sind hier spastische Muskelkrämpfe, die Bewegungen erschweren und Sprache und Blasenkontrolle beeinträchtigen können. Es können einzelne Körperteile oder der ganze Körper betroffen sein. Viele Patienten mit spastischer Zerebralparese leiden zudem an unfreiwilligen Bewegungen, was als Mischformbezeichnet wird.Die dyskinetische Zerebralparese macht 10-15% der Fälle aus und ist oft eine der schwersten Formen. Sie verursacht unfreiwillige Bewegungen und Änderungen des Muskeltonus und beeinflusst auch Körperhaltung und/oder Bewegungen. Die ataktische Zerebralparese macht rund 5% der Erkrankungen aus. Sie beeinträchtigt die Feinkoordinierung von Bewegungen, zum Beispiel Balance, Körperhaltung, Gang, Kontrolle der Augenbewegungen und Tiefenwahrnehmung.

Die Zerebralparese kann während der Schwangerschaft auftreten, aber auch durch Geburtskomplikationen oder Verletzungen und Krankheiten nach der Geburt entstehen. Es ist oft schwer zu sagen, was genau den Hirnschaden ausgelöst hat, weil so viele Faktoren zusammenwirken können und zu ganz individuellen Symptomkomplexe führen:

  • Änderungen der Gene in den Gehirnzellen können die Gehirnentwicklung beeinflussen
  • Form oder Struktur des Gehirns bilden sich manchmal abnormal aus
  • Infektionen oder physische Verletzungen während der Schwangerschaft können Hirnschäden verursachen
  • Komplikationen bei Frühgeburten
  • Eine schwere Erkrankung bei der Geburt (bekannt als neonatale Enzephalopathie) kann einen Sauerstoffmangel im Gehirn verursachen

Die heutigen Therapieansätze konzentrieren sich auf die Linderung der Symptome. Eine Heilung gibt es nicht, aber man bemüht sich, die einzelnen Aspekte der Krankheit durch ein Zusammenspiel von Behandlungen auszugleichen. Dazu zählen Physiotherapie und Ergotherapie zur Verbesserung von Bewegungen und Mobilität sowie Logopädie zur Förderung der kommunikativen Fähigkeiten. Gegen die Muskelsteife werden Muskelrelaxantien gegeben, und bei Schwierigkeiten mit dem Füttern von Säuglingen gibt es ebenfalls Medikamente. Verschiedene Fachverbände bieten Unterstützung für Familien und Informationen zu verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten.

Die Forschung zur Stammzelltherapie bei infantiler Zerebralparese ist noch in einem sehr frühen Stadium, und derzeit gibt es keine Behandlungsmöglichkeiten. Verschiedene neue Ansätze mit Stammzellen werden gerade ausgetestet, es ist jedoch unwahrscheinlich, das einer davon eine vollständige Heilung bieten kann. Sie zielen vielmehr darauf ab, die Schädigung der Hirnzellen zu begrenzen und die Symptome zu mildern. Die Zerebralparese ist so schwer zu behandeln, weil viele verschiedene Typen von Zellen im Gehirn geschädigt sein können. Schwer geschädigte Zellen können komplett ausfallen. Von zukünftigen Therapien erwarten sich Wissenschaftler, dass geschädigte Hirnzellen geschützt und repariert werden, ehe sie vollständig verloren gehen. Das macht es wahrscheinlich, dass es für jede neue Behandlung nur ein kleines Zeitfenster gibt: zwischen der ursächlichen Verletzung und dem Einsetzen des permanenten Zellverlusts.

Heute nutzen Forscher mehrere Arten von Stammzellen, um Hirnschäden in Tierexperimenten zu untersuchen und die Möglichkeiten neuer Behandlungsansätze zu erforschen. In einigen dieser Studien war man anscheinend tatsächlich in der Lage, die Hirnschäden zu reduzieren, denn die Versuchstiere zeigten eine Besserung der Symptome. Die Wirkungsweise beim Tier ist allerdings noch nicht völlig geklärt, und die Vorgänge bei Versuchstieren im Labor entsprechen niemals zu 100 Prozent denen bei menschlichen Patienten. Es gibt noch viel zu tun, und es wird noch Jahre dauern, ehe sich diese Forschungsergebnisse zur Behandlung der Zerebralparese einsetzen lassen.

Verlorene Hirnzellen ersetzen

Gehirn und Rückenmark enthalten so genannte neurale Vorläuferzellen, die das Potenzial zur Weiterentwicklung in spezialisierte Gehirnzellen haben. Eine Idee ist, diese neuralen Vorläuferzellen in Patienten mit Zerebralparese zu verpflanzen, eine andere besteht darin, mit diesen Zellen im Labor neue Nervenzellen zu züchten, um die verlorenen Hirnzellen zu ersetzen. Aber auch, wenn das überhaupt möglich ist, liegt es noch in weiter Ferne. Neue, ins Gehirn verpflanzte Zellen müssten richtig in das komplexe Netz Tausender miteinander verknüpfter Zellen eingebunden werden, die für die Signalübertragung im Hirn sorgen. Das ist eine enorme Herausforderung und mit schweren Risiken verbunden. Daher gehen Forscher davon aus, dass andere Ansätze früher Ergebnisse liefern werden.

Stammzelleninjektionen zum Schutz oder zur Reparatur von geschädigtem Nervengewebe

Derzeit laufen Forschungen zu mehreren Arten von Stammzellen für diesen Zweck:

Im Tierversuch werden neurale Vorläuferzellen aus Gehirn und Rückenmark als Werkzeug erforscht, um geschädigtes Hirngewebe zu reparieren. Bei einer Studie an Ratten etwa wurden neurale Vorläuferzellen nach einer Verletzung ins Hirn injiziert. Ergebnis: Die injizierten Zellen setzten Chemikalien frei, die beschädigten Nervenzellen beim Überleben halfen. Dauerhafte Schäden an Nervenzellen konnten vermieden werden, denn die injizierten Vorläuferzellen hatten schützende Eigenschaften und halfen, dem Verlust von spezialisierte Hirnzellen wie Oligodendrozyten und Nervenzellen vorzubeugen. Diese ersten Ergebnisse werden nun weiter untersucht.

Mesenchymale Stammzellen (MSC), die sich zu Gewebezellen von Knochen, Muskeln und Blutgefäßen entwickeln können, werden derzeit an Mäusen auf ihre Einsatzmöglichkeiten bei Hirnschäden getestet. MSCs können nicht zu Gehirnzellen werden. Einigen Studien zufolge jedoch können sie nach Injektion in Gehirn oder Blutkreislauf von Mäusen zum geschädigten Hirnareal gelangen und Substanzen freisetzen, welche die Heilung von Nervenzellen unterstützen. Wissenschaftler bemühen sich nun um ein genaues Verständnis, wie das bei Mäusen funktioniert, welche Rolle die injizierten mesenchymalen Stammzellen spielen und ob sich hieraus eine sichere und wirksame Behandlungsmethode für Menschen weiterentwickeln lässt.

Stammzellen aus Nabelschnurblut können kurz nach der Geburt aus dem Blut der Nabelschnur gewonnen werden. Diese Zellen haben sich schon bei der Behandlung bestimmter Arten von Blutkrebs wie Leukämie sehr bewährt. Zurzeit werden sie als mögliche Behandlung bei Zerebralparese geprüft. Die Forscher hoffen, dass diese Stammzellen durch Freisetzung von Substanzen zur Stimulierung des köpereigenen Reparatursystems die Heilung beschädigter Nervenzellen unterstützen können.

Stammzellen zur Erforschung der Funktionsweise einer Zerebralparese

Embryonale Stammzellen sind ebenso wie induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) so genannte pluripotente Stammzellarten. Das bedeutet, dass sie sich in jede beliebige Art von Körperzelle verwandeln können. Aktuell nutzt man sie zur Produktion verschiedener spezialisierter Gehirnzellen im Labor, um die Funktionsweise der Zerebralparese zu erforschen. Dies ist ein sehr wichtiges Werkzeug für die Wissenschaft auf der Suche nach neuen Behandlungsmöglichkeiten. Induzierte pluripotente Stammzellen können aus den Hautzellen eines Patienten gewonnen werden und zur Produktion von Nervenzellen dienen, die über exakt die gleichen Gene verfügen wie der Patient. Das macht sie so nützlich für die Erforschung der Rollen bestimmter Gene bei der Erkrankung. Da die Zellen aus der Haut des Patienten hergestellt wurden, ließen sich theoretisch aus iPS sogar Nervenzellen zur Rücktransplantation ohne Risiko einer Abstoßung erzeugen. Es werden jedoch bisher keine Zellen aus iPS zur Verpflanzung in Patienten mit Zerebralparese produziert, und es ist noch viel Forschung nötig, um sagen zu können, ob das eine Möglichkeit für die Zukunft darstellt oder nicht.

Entwicklung von Medikamenten, die die bereits im Gehirn vorhandenen Stammzellen anvisieren

Unser Gehirn enthält Stammzellen, die in der Lage sind, die Nervenzellen zu produzieren, aus denen das Gehirn besteht. Ein möglicher Behandlungsweg bei Zerebralparese wäre die Entwicklung von Medikamenten, die die patienteneigenen Stammzellen anregen, aktiver zu werden und beschädigtes Gewebe zu reparieren. Wissenschaftler hoffen, mit Laborstudien zu Hirn-Stammzellen und Nervenzellen Medikamente zu finden, die diesen Zweck erfüllen.

Nein. Die Forschung zu möglichen Stammzelltherapien bei Zerebralparese beschränkt sich noch auf Laborversuche und einige sehr frühe klinische Studien, es ist also derzeit keine erprobte Behandlung verfügbar. Bei den jetzigen klinischen Studien geht es in der Regel darum, Stammzellen aus dem Knochenmark oder der Nabelschnur ins Gehirn zu injizieren. Selbstverständlich werden alle Änderungen der Bewegungskoordination der Patienten erfasst, aber bei diesen frühen Studien geht es vor allem darum, festzustellen, ob diese Behandlungsmethode gefahrlos ist. Aktuelle Studien zur Zerebralparese sind im Verzeichnis clinicaltrials.gov aufgelistet. Wahrscheinlich braucht es für Patienten mit Zerebralparese eine Kombination von Behandlungsansätzen, mit Stammzellen, Physiotherapie und anderen Therapien. Ehe Stammzellbehandlungen Wirklichkeit werden, muss die Forschung noch viele Fragen beantworten, etwa:

  • Welche der vielen Arten von Stammzellen eignen sich am besten?
  • Wie lassen sich die benötigten Zellen in großen Mengen gewinnen?
  • Wie kommen sie am besten zum Einsatz, und welche Auswirkungen haben sie auf den Körper?
  • Wenn es um Injektionen geht: Injiziert man die Zellen direkt in das geschädigte Hirnareal oder in den Blutkreislauf?
  • Wann muss die Behandlung stattfinden, um möglichst erfolgreich zu sein? Gibt es ein Zeitfenster, nach dessen Ablauf der Schaden permanent wird?
  • Wäre eine Behandlungsmethode zur Stimulierung der bereits im Gehirn vorhandenen Stammzellen die bessere Lösung?

Auch die Sicherheit muss bei jeder Behandlungsoption durch viele Forschungsphasen ermittelt werden, um das Patientenrisiko zu verringern. Ein besonderes Sicherheitsrisiko bei Stammzellen ist beispielsweise, dass sie hoch teilungs- und vermehrungsfähig sind, also auch bösartige Tumore bilden könnten. Deshalb muss genau erforscht werden, wie sich Stammzellen im Rahmen einer Behandlung verhalten würden, und das braucht Zeit.

Sie werden vielleicht Kliniken finden, die Stammzelltherapien bei vielen verschiedenen Krankheiten anbieten. Es gibt aber derzeit keine Stammzelltherapie bei Zerebralparese, die nachweislich gefahrlos und wirksam ist.

Dieser Artikel wurde von Nia Powell erstellt und von Ali FatemiVeronica LynchMegan Munsie und Iona Novak rezensiert.

Die deutsche Übersetzung wurde im Auftrag vom German Stem Cell Network (GSCN)erstellt.

Hauptbild: Eine Mutter und ihre Tochter mit infantiler Zerebralparese von Libby Welch, Wellcome Images. Foto von R. J. Mitte von Gage Skidmore. Foto von Sophie Christiansen von Magnus Manske. Bilder von differenzierenden neuralen Vorläuferzellen  von Nina Callard, Wellcome Images. Zeichnung mit Beispielen von Zelltypen im Gehirn von Nia Powellunter der Verwendung von Servier Medical Art.