Schlangengift aus Organoiden

Snake gland organoids
Snake venom gland organoids. Credit: Ravian van Ineveld, © Princess Máxima Center

Forscher vom Hubrecht Institut (KNAW) haben in einer internationalen Kollaboration eine Methode entwickelt um Zellen aus der Giftdrüse von Schlangen als Organoide zu züchten. Diese Mini-Drüsen aus der Petrischale produzieren und sekretieren aktive Toxine des Schlangengifts. Sie können von diversen Spezies gezüchtet und im Labor uneingeschraenkt vermehrt werden. Diese neue Technologie verspricht den veheerenden Schaden von Schlangengift zu vermindern, aber auch die Geheimnisse des Gifts besser zu verstehen. Die Resultate der Forscher wurden am 23. Januar in der Wissenschaftszeitschrift Cell veröffentlicht.

 

Asclepius
Die Schlange ist ein Symbol der altgriechischen Gottheit Asclepius.

© Wikimedia Commons

Die tödliche und heilenden Aspekte von Schlangen und ihres Giftes haben die Menschheit seit Jahrtausenden fasziniert. Auch heutzutage sterben über 100,000 Menschen jährlich an Schlangenbissen, während über 400,000 bleibende Schäden davontragen. Viele Menschen leiden zudem an Ophiodiophobie, der abnormen Angst vor Schlangen. Jedoch stellt Schlangengift auch eine Goldgrube für neue Medikamente dar und wurde bereits im antiken Griechenland therapeutisch eingesetzt. Seitdem wurden viele Wirkstoffe von Schlangengift inspiriert, unter anderem blutdrucksenkende Therapeutika und Schmerzmittel. Bis heute ist es allerdings herausfordernd, Schlangengift in der Wirkstoffforschung einzusetzen und Menschen gegen seine verheerende Wirkung zu schützen. Einige Hindernisse sind der schwierige und gefährliche Prozess des Schlangenmelkens, sowie Herausforderungen beim Charakterisieren und Modifizieren einzelner Toxine in Schlangen.

 

Neun verschiedene Schlangen

Drei Doktoranden im Labor von Hans Clevers am Hubrecht Institut in Utrecht wurden insipriert vom Erfolg ihrer Kollegen, Miniaturversionen diverser Organe von Säugetieren zu züchten, welche als Organoide bekannt wurden. Sie fragten sich, ob dies auch für Reptilien funktionieren könnte, und ob sie somit Gift im Reagenzglas herstellen könnten. Sie bauten eine internationale Kollaboration mit Schlangenexperten in Leiden, Liverpool und Amsterdam auf um Giftdrüsen von neun verschiedenen Schlangenarten zu sammeln, welche dann als Mini-Drüsen in der Petrischale gezüchtet werden sollten.

Snake biting receptacle
The traditional way to collect venom involves handling the snake and encouraging it to bite on to a receptacle, as shown here with the sharp-nosed viper, one of the species used to make the venom gland organoids.

© Liverpool School of Tropical Medicine

Körpertemperatur

Nach einigen Versuchen, die Wachstumsbedingungen von Säugetier-Organoiden and Schlangen anzupassen, entwickelten die Forscher ein Rezept, welches die unbeschränkte Vermehrung von Giftdrüsen unterstützt. „Die Ähnlichkeit zwischen den Bedingungen für menschliche und Schlangenorganoide war erstaunlich. Der größte Unterschied besteht in der erforderlichen Temperatur”, sagt Jens Puschhof (Hubrecht Institut). Weil die Körpertemperatur von Schlangen niedriger ist als die menschliche, konnten die Schlangenorganoide ebenfalls nur bei geringeren Temperaturen wachsen; 32°C anstatt 37°C.

 

Aktive Toxine

Snake venom gland
Variable Toxinproduktion (grün und rot)

in verschiedenen Bereichen der Giftdrüse.

Credit: Joep Beumer, Yorick Post, Jens Puschhof, © Hubrecht Institute

Durch ein hochauflösendes Mikroskop konnten die Forscher beobachten, dass die Zellen der Organoide mit dichten Strukturen gefüllt sind. Diese ähneln stark den Vesikeln, welche das Gift in der Giftdrüse sammeln. In der Tat konnten vielfältige Analysen zeigen, dass die Organoide den Großteil der Komponenten des Schlangengifts produzieren. Zum ersten Mal war es somit möglich, die Giftproduktion in einzelnen Zellen der Giftdrüse zu studieren. „Wir wissen von anderen sekretorischen Organen – wie zum Beispiel der Bauchspeicheldrüse und dem Dünndarm – dass spezialisierte Zelltypen Untergruppen von Hormonen produzieren. Nun konnten wir zum ersten Mal nachweisen, dass dies auch auf Toxine aus Giftdrüsenzellen zutrifft“, erklärt Joep Beumer (Hubrecht Institut). Zudem fanden die Forscher, dass unterschiedliche Faktoren im Wachstums-Medium der Organoide die Zusammensetzung des Giftes beeinflussen konnten. Somit kann die Art des produzierten Giftes kontrolliert werden. In weiteren Kollaborationen konnten sie zeigen, dass Neurotoxine aus den Organoiden die Signalübertragung zwischen Nervenzellen ebenso unterbrechen konnten wie echtes Schlangengift.

Gegengifte und neue Therapeutika

Die Erkenntnisse der Forscher könnten weitreichende Konsequenzen haben. So könnte das Gift aus Organoiden sowohl zur Herstellung von Gegengift als auch zur zielgerichteten Entwicklung neuer schlangengiftbasierter Therapeutika verwendet werden. Weitere Studien zur Entwicklung dieser Anwendungen warden gegenwärtig duchgeführt. Die Erkenntniss, dass Reptiliengewebe als Organoide gezüchten werden können lässt vermuten, dass dies auch für viele weitere Wirbeltiere (so wie Eidechsen und Fische) möglich ist. So etablieren die Forscher zusammen mit Freek Vonk vom Naturalis Biodiversity Center in den Niederlanden momentan eine Kollektion der Giftdrüsen von 50 giftigen Reptilien, insbesondere von Schlangen und anderen giftigen Tieren. Yorick Post (Hubrecht Institut): “Es war großartig zu sehen wie sich unsere Faszination über Schlangen-Organoide in eine Technologie verwandelt hat, die diverse Anwendungen im Gesundheitssystem verspricht“.

 

In this video, Yorick Post, Jens Puschhof and Joep Beumer explain how they developed organoids, or mini-organs, of the snake venom gland, and what we might be able to do with these organoids in the future.

Publikation

Snake Venom Gland Organoids. Yorick Post*, Jens Puschhof*, Joep Beumer*, Harald M. Kerkkamp, Merijn A.G. de Bakker, Julien Slagboom, Buys de Barbanson, Nienke R. Wevers, Xandor M. Spijkers, Thomas Olivier, Taline D. Kazandjian, Stuart Ainsworth, Carmen Lopez Iglesias, Willine J. van de Wetering, Maria C. Heinz, Ravian L van Ineveld, Regina G.D.M. van Kleef, Harry Begthel, Jeroen Korving, Yotam E. Bar-Ephraim, Walter Getreuer, Anne C. Rios, Remco H. S. Westerink, Hugo J. G. Snippert, Alexander van Oudenaarden, Peter J. Peters, Freek J. Vonk, Jeroen Kool, Michael K. Richardson, Nicholas R. Casewell and Hans Clevers. Cell 2020.

*Diese Authoren haben in gleichem Umfang zu dieser Studie beigetragen

 

Diese Studie ist das Resultat einer Kollaboration zwischen das Hubrecht Institut in Utrecht, Naturalis Biodiversity Center, Institute of Biology Leiden, Vrije Universiteit Amsterdam Division of BioAnalytical Chemistry, Utrecht University Medical Center, Maastricht University, The Princess Maxima Center for Pediatric Oncology, Utrecht University Neurotoxicology Research Group, MIMETAS, SERPO und Schlangen(gift)experten Michael Richardson (Institute of Biology Leiden), Freek Vonk (Naturalis) und Nicholas Casewell (Liverpool School of Tropical Medicine).

 

Hans Clevers ist Gruppenleiter am Hubrecht Institut und dem Princess Máxima Center for Pediatric Oncology, Professor für Molekulargenetik am UMC Utrecht und der Unversität Utrecht, sowie Oncode Inverstigator.

 

Das Hubrecht Institute ist ein Forschungsinstitut mit Fokus auf Entwicklungs- und Stammzellbiologie. Es umfasst 23 Forschungsgruppen die grundlegende und multidisziplinäre Forschung betreiben, welche sowohl gesunde Systeme als auch Krankheitsmodelle umfasst. Das Hubrecht Institut ist ein Forschungsinstitut der Königlichen Niederländischen Akademie der Wissenschaften und Künste (KNAW), welches sich im Utrecht Science Park befindet. Seit 2008 ist das Institut mit dem UMC Utrecht assoziiert, um die Übtertragung von Forschung zur Klinik voranzutreiben. Das Hubrecht Institut hat eine Partnerschaft mit dem Europäischen Molekularbiologielabor (EMBL). Weitere Informationen sind auf www.hubrecht.eu zu finden.

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